Am 16 Juni fand der erste digitale, oder besser gesagt hybride Kleinwalsertaler Tourismus-Dialog statt – die Diskutanten Landesrat Christian Gantner, Bürgermeister Andi Haid, Bernhard Joachim (Geschäftsführer der Allgäu GmbH), Markus Bischof (Geschäftsführer von P8 Marketing) und Hannes Jochum (Geschäftsführer der Sparte Tourismus der Wirtschaftskammer Vorarlberg) diskutierten vor Ort im Ifen Hotel in Hirschegg, die zahlreichen Zuhörer und Zuschauer waren digital von zu Hause oder dem Büro aus eingebunden. Durch die Diskussion führte Dr. Andreas Gapp, Vorstand der Walser Raiffeisen Holding.
4 Thesen wurden in 90 Minuten beleuchtet:
- Der Gast hat sich schon vor Corona verändert. Achtsamkeit und individuelle Ansprüche gewinnen an Bedeutung. Der Alpenraum steht bei dieser Entwicklung in der Pole Position.
- Die Ertragskraft im Tourismus kann langfristig nur über eine strategische Leistungsentwicklung (Qualität) und damit verbunden differenzierten Preisen gesichert werden und nicht über weiteres Mengenwachstum.
- In der Digitalisierung stecken für den Tourismus noch viele Entwicklungschancen.
- Corona wirkt kurzfristig als „Boost“ für die heimische Tourismusgesinnung. Langfristig bleiben die Herausforderungen von vor der Krise bestehen.
Als große Chance – im Besonderen auch fürs Allgäu und das Kleinwalsertal – interpretieren alle die sich schon vor Corona abzeichnenden Veränderungen in den Ansprüchen der Urlauber. „Natürlich wird es weiterhin Pauschaltouristen geben, aber das Verlangen nach „more of the same“, nach dem nächsten 5 Sterne Frühstück oder wie es das Zukunftsinstitut ausdrückt – nach schnell vergessenem Kick, dekadentem und kurz betäubendem Luxus oder stumpfen Wiederholungen von Strand und Buffet – nimmt ab. Die Sehnsucht nach einzigartigen, persönlichen Erlebnissen wächst. Es geht um Erlebnisse, an die der Gast noch nach Jahren denkt bzw. von denen er noch zu Hause zehrt und seinen Freunden und Arbeitskollegen erzählen kann: Erlebnisse, die Resonanz geben“, erläutert Markus Bischof. Diese Entwicklung wurde von allen Diskutanten als große Zukunftschance für den Alpenraum gesehen. „Hier haben wir einen Start-Vorteil, weil wir in den Alpen genau diese individuellen Angebote, über die man spricht – von der Sonnenaufgangswanderung bis zur Einkehr in der Sennhütte – bieten können“, freut sich Joachim Bernhard.
Dieser Wunsch nach Personalisierung und Individualisierung führt unter anderem aber auch dazu, dass ein weiteres Mengenwachstum – mehr Betten und mehr Nächtigungen – nicht unendlich möglich sein wird. Verstärkt durch teilweise beschränkte Märkte wie bei den Skier-Days, dem akuten Arbeitskräftemangel im Tourismus und auch dem Wunsch der Einheimischen nach einer Balance zwischen Lebensraum und Urlaubsraum sind neue Strategien gefragt, um auch in Zukunft den notwendigen Ertrag der Branche zu sichern. Für Markus Bischof sind die Zeiten des All Inclusive vorbei. „Wir müssen uns die Frage stellen, was wünscht sich der Gast, welche Leistungen begeistern diesen und für welche Leistungen ist er zusätzlich bereit zu zahlen. Denn viele Leistungen werden heute einfach gratis zur Verfügung gestellt. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Es benötigt eine Leistungs- und Preisdifferenzierung. Nur so kann der Ertrag langfristig abgesichert werden.“
Hier kann auch die Digitalisierung in Zukunft helfen. Denn die Potentiale sind längst noch nicht ausgeschöpft, wie alle Diskutanten bestätigten. Und das, obwohl der Tourismus einerseits eine der ersten Branchen war, die den gesamten „Kaufprozess“ – Inspiration, Information, Auswahl und Buchung – ins Netz verlagert hat und andererseits die Kernleistungen gar nicht digitalisierbar sind. „Der Urlaub wird analog bleiben. Man muss die Alpenblumen riechen, den Muskelkater spüren und die Käsknöpfle schmecken“, so Landesrat Christian Gantner. Das Entwicklungspotential liegt in mehr Convenience für den Gast, in der Besucherlenkung sowie in der Kundenbindung. Angebote können spontan digital buchbar gemacht werden – vom Parkplatz am Skilift bis zum Sitzplatz im Restaurant. „Zudem gibt uns der Gast digital die Möglichkeit, ihn besser kennenzulernen. Zu wissen, was seine Bedürfnisse sind, welche Leistungen er möchte und ihm diese dann personalisiert zur Verfügung zu stellen, schafft Bindung. Diese wird in den nächsten Jahren noch wichtiger werden, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Loyalität für die Entwicklung einer Region wichtiger ist als die Anzahl an Neukunden“, so Hannes Jochum.
Zum Abschluss wurde der Einfluss von Corona auf die Tourismusgesinnung hinterfragt. „Die aktuelle Euphorie des Restarts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Herausforderungen und kritischen Themen schnell zurück in den Fokus rücken“, erläutert Markus Bischof. Deshalb ist für Bernhard Joachim besonders wichtig, auch in Zukunft die Balance zwischen Urlaubsregion und Lebensraum zu halten und kritischen Themen wie Verkehr, Kosten für Wohnraum etc. sensibel zu begegnen. „Wie die letzte Befragung im Allgäu gezeigt hat, wird die aktuelle Intensität des Tourismus von einem Großteil der Allgäuerinnen und Allgäuer unterstützt. Die Stimmung oder besser gesagt die Gesinnung zum aktuell bestehenden Tourismus ist gut. Aber natürlich können wir keinen zwingen, die Gäste zu lieben, daher sollten wir schon an den Schulen anfangen zu erklären, warum der Gast für die Region so wichtig ist“, so Joachim. Bürgermeister Andi Haid hat hier ein einfaches Rezept: „Die Gastfreundschaft ist das Wichtigste. Die müssen wir weiterhin leben. Das spürt der Gast. Ist sie nicht vorhanden, dann müssen wir auf die Leute zugehen und ihnen klarmachen, dass es so nicht geht. Nur so kann gesichert werden, dass auch unsere Kinder und Enkel in ihrer Heimat leben können.“ Für Landesrat Christian Gantner bedeutet dies aber auch, dass Wachstum um jeden Preis hinterfragt werden muss. „Investorenprojekte, die derzeit im Trend sind und die Bettenkapazitäten überall mit fremdem Geld – meist ohne heimischen Gastgeber – nach oben schieben, sind zu hinterfragen bzw. diesen ist ein Riegel vorzuschieben. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden.“
>>>zum Film über den 1. Kleinwalsertaler Tourismus Dialog